Seite 26 - Clauda Frühwald - Diplomarbeit Mode ohne Seele

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Wer und was nun tatsächlich Auslöser für Essstörungen bei einigen
Models und Jugendlichen ist, ist schwer zu erforschen - die Desig-
ner, die Booker, die Agenturen, die Fotografen, die Medien oder die
Models selbst? Die preisgekrönte amerikanische Modekolumnistn
Hadley Freeman nimmt in ihrem Buch
Warum Frauen große Son-
nenbrillen und winzige Hunde brauchen
gekonnt zynisch Stellung:
Die Designer ihrerseits behaupten, die Models müssten so dünn
sein, damit die Ästhetk nicht beeinträchtgt würde, was auf schön-
färberische Art besagt, dass es einfacher ist Kleider für Magere zu
machen, weil man sich keine Gedanken um so langweiliges Zeug
wie anständige Verarbeitung, vorteilhafe Schnite oder genügend
Platz für Po und Oberweite machen muss. Statdessen kann man
sich mit so aufregenden Dingen wie Pfauenfedern auf den Kleidern
und übergroßen Steppjacken mit Chinchillabsatz amüsieren. (...) Die
Modebranche schert es kein Stück, wie Frauen aussehen; ihr geht
es nur darum herauszufnden, welche Figur die Käuferschaf derart
betört, dass sie ihre Kreditkarten zückt. Vielleicht könnten wir also
damit aufören, in Models eine persönliche Beleidigung zu sehen,
und sie als das nehmen, was sie sind - laufende, sprechende Litaß-
säulen. Vielmehr sollten wir angesichts der körperlichen Anstren-
gungen, die sie für diesen nicht einmal besonders befriedigenden
Job auf sich nehmen, sogar ein schlechtes Gewissen bekommen. Die
Behauptung, Models seien verantwortlich für Magersucht, ist etwa
so stchhaltg wie die Behauptung, Bierwerbung führe zu Alkoho-
lismus. (...) Es ist eine psychische Störung; eine Verbindung zwi-
schen Eitelkeit und Magersucht herzustellen ist daher eine weitere
Medienstrategie Frauen (denn es sind nach wie vor hauptsächlich
Frauen, die an Aneroxie leiden, wenngleich die Zahl männlicher
Betrofener nachweislich steigt) zu dummen kleinen Mädchen mit
zu viel Zeit herabzuwürdigen, die zu viele Ausgaben der Vogue in die
Finger bekommen haben.
(Hardley, 2010: 200-201)
Das bekannte amerikanische Plus-Size-Model Crystal Renn weiß da-
von ein Lied zu singen. Im Alter von 14 Jahren wurde sie von einem
New Yorker Modelsccout entdeckt. Sein Urteil: „Würde sie abneh-
men, häte sie das Zeug zum Topmodel.“ Daraufin trainierte Crystal
8 Stunden täglich im Fitnessstudio und aß so gut wie gar nichts
mehr. In nur einem Jahr verlor sie 30 Kilo ihres Körpergewichts und
landete schließlich entkräfet in einer Klinik. Sichtlich geläutert ver-
ließ Crystal das Krankenhaus, wechselte ihre Agentur und startete
eine bemerkenswerte Karriere als Plus-Size-Model. Modemagazine
wie
Vogue
,
Elle
und
Harper‘s Baazar
reißen sich um das atraktve
Model und Karl Lagerfeld buchte Crystal für eine Chanel-Kampagne.
Auch das 26-jährige österreichische Ex-Model Petra Roschek lit 10
Jahre lang an Essstörungen. In ihrem Dokumentarflm
90/60/90
- Essen, Brechen, Weiterlächeln
dokumentert sie ihr Leben als
Bulimieleidende und flmt sich dabei. Als sie mit dem Modeln
begann, war Bulimie für sie nichts Neues. Roschek ofenbart: „Es
begann nach dem 14. Geburtstag. Ich hate damals Angst etwas
falsch zu machen und die Liebe meiner Eltern zu verlieren. Gleich-
zeitg habe ich mich für vieles schuldig gefühlt, etwa den Hunger
in Afrika. Damals beschloss ich nicht erwachsen zu werden. Damit
wollte ich mich von meinen Schuldgefühlen befreien - und auch
mein körperliches Erscheinungsbild unschuldig halten.“ (htp://t-
nyurl.com/5s43raf) Die Krankheit wurde durch das Modeln anfangs
sogar besser. Doch erlit sie aufgrund einer Aussage ihres Bookers
einen Rückschlag. Er zeigte ihr in der Agentur ein Foto aus ihren
ganz mageren Zeiten und meinte, wenn sie wieder so aussehe wie
auf dem Bild, dann werde sie gut arbeiten können. Petra Roscheks
Reakton darauf: „Ich weiß nicht, ob er die Aussage wirklich auf das
Gewicht bezogen hat - für mich war es ein Rückschlag.“ (htp://tny-
url.com/5s43raf)
Ex-Model Petra Roschek, Wien 2011
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Mitlerweile lässt sich Supermodel-of-the year-Gewinnerin und
Germany‘s-next-Top-Model-Anwärterin 2010 Petra Roschek nicht
mehr verunsichern und einschüchtern, sondern geht als erfolgrei-
che Filmemacherin ihren eigenen Weg.
Im Gegensatz zu Petra Roschek schafe es das französische Mager-
model Isabelle Caro nicht ihre Krankheit zu besiegen. 2007 ließ sie
sich vom italienischen Starfotografen Oliviero Toscani für die Mode-
marke Nolita als Magersuchtmodel ablichten und wollte somit auf
die Gefahren der Krankheit hinweisen. 2010 starb sie geschwächt
durch Aneroxia an den Folgen einer Lungenentzündung.
Es scheint ganz so als wären auch die Modeschöpfer endlich zur
Vernunf gekommen. Kommentare, wie etwa „Knochengerüste
sind für gewöhnlich verdorrt!“ von Karl Lagerfeld, oder „Ich wollte
keinen Zirkus mehr veranstalten!“ (Mosburger, in
Seitenblicke
Sept.
2010: 32-34) von Modemacher Marc Jacobs, bringen Licht ins
Modebusiness. Modezar Karl Lagerfeld buchte für seine Modeshow
sogar Sängerin Beth Dito als XXL-Model, um ein Zeichen zu setzen.
Aber auch Modezeitschrifen, wie etwa
Brigite,
reagieren innova-
tv. Die Zeitschrif startete am 26. Januar 2010 die Initatve
Brigite
ohne Models. Darin präsentert die Modezeitschrif Designermode
mit ganz normalen Menschen und Maßen. Dabei spielt Alter keine
Rolle. Die Modeaufnahmen werden durch die Angabe von Namen,
Alter und Beruf der Abgebildeten authentsch und realitätsnah. Hier
wird kein Traum vorgegaukelt, sondern wirklichkeitsgetreu ohne Re-
tusche und Manipulaton natürliche Ästhetk abgelichtet. Eine Art
Modefotoreportage, die ein wenig an Modeblog - Schnappschüsse
des 21. Jahrhunderts erinnert.
Sechs Jahre zuvor hate auch der deutsche Kosmetkkonzern Unile-
ver mit seiner Produktmarke Dove eine geniale Idee. Dove begann
2004 zum ersten Mal eine Werbekampagne ohne Models - die sie
weiterhin verfolgt. Gecasted werden Frauen, die keinem Schön-
heitsideal entsprechen. Die Dove-Werbung zeigt Frauen mit nicht
makelloser Haut und Figur, in Szene gesetzt vom britschen Starfo-
tograf John Rankin. Dove-Frauen versprühen Lebensfreude, Vitalität
und Natürlichkeit. Die Botschaf ist klar - natürliche Schönheit geht
vor Perfektonismus. Wie aus dem Artkel - „Dove - eine Kampagne
ändert das Frauenbild“ - der
Die Zwei Zeitung
im November 2004
hervorgeht, hat der Dove-Konzern Unilever den Leitsatz: „Jede Haut
ist schön!“ zu seiner Philosphie erkoren. (htp://zeitung.diezwei.de/
content/dove-eine-kampagne-%C3%A4ndert-das-frauenbild)
Der Boom der sogenannten „real people“ im Modebusiness fand
seinen Anfang schon vor 25 Jahren, als der italienische Modefoto-
graf Oliviero Toscani für das Modelabel Esprit nichtprofessionelle
Models buchte. Damals der Zeit weit voraus, nimmt nun Toscani in
einem Interview in München im Mai 2010 zum momentanen „real-
people-booking-Trend argwöhnisch Stellung: „Das ist doch nichts
Innovatves. Ich habe schon vor 25 Jahren für die Marke Esprit ‚real
people‘ engagiert. Heute macht das plötzlich jeder. Was sind denn
dann die anderen Models? Roboter? Maschinen? Sich damit zu rüh-
men, mit ‚normalen Menschen‘ zu arbeiten. Das ist doch dumm.“
(htp://muenchen.business-on.de/oliviero-toscani-interview-benet-
ton-pinakothek-macht-_id9490.html)
Neben den guten, wertvollen Modeerscheinungen treten leider
auch immer wieder lächerliche Trends auf. So gibt es zum Beispiel in
fast allen westlichen Ländern Top-Model Castng Shows. Moderiert
werden diese Shows meist immer von ehemaligen Top-Models. Als
häte man den Ruf der Topmodels nicht schon genug durch den
Kakao gezogen, Model Castng Shows konzentrieren sich ausschließ-
lich auf weibliches Potenzial. „Wir wollen keine Hungerhaken, aber
Fetpölsterchen wollen wir auch keine.“, sagt Heide Klum immer
wieder in ihrer Castng Show Germany‘s next Top Model, in der sie
als erfahrene „Modelmamma“ den jungen Mädchen zeigt, worauf
es im Modelbusiness ankommt. Man fragt sich nur wo die Zeiten
einer götlichen Cindy Crawford und einer sinnlichen Linda Evange-
lista geblieben sind? Was müssen junge Mädchen über sich ergehen
lassen, um ihrem Traum vom Topmodel näher zu kommen? Aber
nicht nur junge Topmodel-Anwärterinnen blamieren sich vor der
Kamera, wie die fünfe Stafel von Heidi Klums Germany‘s Next Top-
model beweist. Der Schweizer Modefotograf Michel Comte macht
sich während eines Shootngs am Strand von Malibu buchstäblich
zum Afen wie aus einer TV Kritk von Michele Binswanger der
Bas-
ler Zeitung
hervorgeht:
Comte, mit Pilotenbrille und Stefel, hüpf mit seiner Kamera herum
wie ein Homunkulus und lispelt „Yes go“. Und „Yes, very good. You
must show emoton in your face.“ Und die Frauen, besser Mädchen,
Karl Lagerfeld mit Sängerin
und XXL Model Beth Dito, 2010
Brigite
ohne Models
Dove Werbekampagne, fotografert von John Rankin,
2004
Magermodel Isabelle Caro, 2007