Seite 31 - Clauda Frühwald - Diplomarbeit Mode ohne Seele

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IX. WELCHE STRATEGIEN VERFOLGT DIE MODEFOTOGRAFIE?
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Modefotos regen auf, inspirieren, verleiten, verführen, faszinieren
und versprühen Ästhetk. Sie zieren Plakatwände und Reklameta-
feln und sind in Medien und Magazinen allgegenwärtg. Egal ob in
einer teuren Modezeitschrif oder einem Billigkatalog - Modefoto-
grafe in all ihren Formen zielt in erster Linie darauf ab, die Kaufraf
anzukurbeln, den Konsum zu steigern und die Umsätze in die Höhe
schnellen zu lassen. So ofenbart Helmut Newton etwa in seiner
Autobiografe, dass Kommerz durchaus stmulierend und inspirie-
rend sein kann. Er sah in der Kommerz orienterten Modefotografe
nicht nur Proft, sondern auch künstlerische Qualität und Selbstver-
wirklichung.
Ich habe Freunde, die sogenannte „künstlerische“ Fotografen sind.
Sie lehnen es ab, Aufräge zu übernehmen, und arbeiten nur für sich
selbst, in der Hofnung auf ein Stpendium oder einen Verkauf an
ein Museum. Ich bewundere ihre Konsequenz, fnde ihre Bilder aber
of langweilig. Ich verdanke meinen Erfolg der Welt des Kommerzes
- der „Konsumgesellschaf“ - und nicht irgendwelchen Stfungen
und Museen. Ich habe es stets als stmulierend und inspirierend
empfunden, für Zeitschrifen oder andere Aufraggeber zu arbeiten.
(Newton, 2002: 328)
Peter Lindbergh zum Beispiel sieht die Unterscheidung zwischen
Kunst und Kommerz als vollkommen irrelevant. Für ihn stehen Emo-
tonen im Zentrum seines Schafens. „Die Unterscheidung zwischen
Kunst und Kommerz ist überfüssig. Das sehen die Museen, die mei-
ne Bilder zeigen, genauso. Für mich ist ein Foto dann Kunst, wenn
es Emotonen auslöst und in der Lage ist, etablierte Sehweisen zu
verändern, oder einfach, weil es neu und originell ist.“ (htp://www.
spiegel.de/spiegel/0,1518,709747,00.html)
Mitlerweile hat sich die Modefotografe zu einer eigenen Kunst-
und Stlrichtung entwickelt und ist in unserer modernen Gesell-
schaf nicht mehr wegzudenken.
Die Modefotografe hängt aber nach wie vor sehr stark von der
Modeindustrie ab, und die kann ziemlich diskriminierend sein,
wie Oliviero Toscani in einem Interview in München im Mai 2010,
feststellt. Auf die Frage, was er über die Modeindustrie denke,
antwortet er:
Das sind die Schlimmsten! Alle sehen gleich aus: dieselben Models,
dieselben Looks und die Medien versuchen den Universalmenschen
zu kreieren. Magersucht zum Beispiel ist das alleinige Produkt der
Werbung in der Modeindustrie. Oder „schwarz-sein“ ist mit der
Obama-Ära jetzt „in“, nachdem ich vor 20 Jahren so hart gekämpf
habe, ein dunkelhäutges Model auf ein Cover zu bringen. Die
Modebranche ist sehr diskriminierend und rassistsch.
(htp://muen-
chen.business-on.de/oliviero-toscani-interview-beneton-pinako-
thek-macht-_id9490.html)
Der britsche Starmodefotograf Nick Knight schildert in einem In-
terview mit Lorraine Haist im Januar 2010 ähnliche Erfahrungen im
Zuge einer Kosmetk-Kampagne:
Es war immer das Konzept meiner Arbeit, auch eine Gisele Bünd-
chen oder Naomi Campbell nicht so glat aussehen zu lassen, wie
man es von einem Supermodel, das für ein Hochglanzmagazin
fotografert wird, erwarten würde. Sondern statdessen auf den
Schwung ihrer Wimpern zu achten oder auf ihre Hautarbe oder auf
ihre Sommersprossen. Ich erinnere mich an eine Kosmetk-Kampag-
ne, die ich fotografert habe und bei der man versucht hat, anschlie-
ßend die Gesichter der Models symmetrisch zu machen, indem man
beispielsweise das linke Auge nahm und als rechtes einsetzte. Das
hat mich wahnsinnig wütend gemacht. Ich habe nichts gegen Ma-
nipulaton von Bildern, um damit Schönheit zu erzeugen. Aber die
Vorstellung, dass etwas schöner ist, je symmetrischer es ist, stmmt
einfach nicht.
(htp://tnyurl.com/6fabj5q)
Auf die Frage warum denn die Mode- und Kosmetkindustrie ver-
suche, ein solches Bild künstlich zu erzeugen, erklärt Knight: „Weil
Schönheit in unserer Gesellschaf von Menschen defniert wird, die
sie nicht als Ganzes verstehen - und am wenigsten Ahnung davon
haben.“ (htp://tnyurl.com/6fabj5q)
Indem die Mode - und Werbeindustrie den Fotografen und Graf-
kern vorschreibt, welche Hautarben und Schönheitsideale - zum
Beispiel symmetrische Gesichter - gerade „angesagt“ sind, wird die
Kreatvität erstckt. Innovatonen werden somit an den Rand ge-
drängt und durch Konformität ersetzt. Der Meister der Schockbilder
Oliviero Toscani ist davon überzeugt, dass man nur dann als Künst-
ler erfolgreich sein kann, wenn man gegen den Strom schwimmt.
Nach Toscani besteht die Welt aus Kreatven und Unkreatven. Nicht
kreatve Menschen stoppen Wachstum und Weiterentwicklung. Nur
Mut kann dabei Abhilfe schafen.
Kreatvität muss subversiv und verstörend sein. Als Künstler muss
man die Regeln brechen! Den Mut haben, anders zu sein und so die
Möglichkeit nutzen, einen freien Ausdruck zu kreieren. Wahrlich
kreatve Leute sind jedoch selten. Die Gruppe der Unkreatven ist
dafür umso größer. Die Masse der Bürokraten, die ihre Machtstel-
lung betonen, indem sie kreatve Prozesse stoppen. Sie existeren,
um jede Idee zu vernichten, die nicht banal und dumm genug ist,
Einheitlichkeit zu kommunizieren. Deshalb sehen alle Zeitungen
gleich aus, alle Autos ähneln sich, TV-Sendungen sind austauschbar,
verschiedene Modemarken schreiben einen authentschen Stl vor.
Marketngleute sind wie Müter, die ihren Kindern ständig zurufen,
dass sie dieses und jenes nicht tun sollen. Wirklich intelligente Kin-
der aber, werden immer genau das Gegenteil von dem machen, was
die Eltern ihnen sagen. Sie werden sich selbst ausprobieren, um ihre
eigenen Grenzen herauszufnden. Und so läuf es auch in der Kom-
munikaton: hören Sie sich an, was das Marketng sagt und machen
Sie genau das Gegenteil! So haben Sie Erfolg. (...) Es braucht doch
nur Mut! Alle sind viel zu ängstlich geworden. Wir brauchen Mut,
Risiken einzugehen und zu überraschen. Dinge zu kreieren, die es so
noch nicht gab!
(htp://muenchen.business-on.de/oliviero-toscani-
interview-beneton-pinakothek-macht-_id9490.html)
Je aufgeschlossener die Aufraggeber sind, desto erfolgreicher wird
die Werbelinie. Sich von der Masse abzuheben, um aufzufallen,
lautet das Moto. Die Modemarke Beneton, ein Familienunterneh-
men, vertraute Oliviero Toscani, als sie ihn in den 1980er Jahren zu
ihrem Mode- und Werbefotografen erkor. Und wahrhaf, Toscanis
Beneton-Werbekampagne ging in die Geschichte der Mode ein
und machte das Familienunternehmen zu einem Modeimperium.
Toscanis Philosophie ist, mit Provokaton Denk- und Diskussionspro-
zesse in Gang zu setzen. Der Betrachter soll sich mit dem Bild ausei-
nandersetzen. Je spektakulärer und ausgefallener eine Werbekam-
pagne in der Mode ist, desto besser wird sie sich in den Gehirnen
der Menschen verankern. Die Beneton Plakate wurden in bis zu
120 Ländern plakatert, auch arabische Länder waren darunter. Die
Reaktonen waren je nach kulturellen und moralischen Gegebenhei-
ten unterschiedlich.
Wiedererkennungswert steht bei der Gestaltung des Konzepts an
erster Stelle. Toscani schafe es ohne herkömmlich gewohnte Mo-
defotos, für Mode zu werben.
Während Toscani noch viel Potental und Kreatvität in der Modefo-
tografe sieht, prophezeit Nick Knight ihr nahendes Ende. Knight zu-
folge hat die Modefotografe im Zeitalter des Internets bereits aus-
gedient. Er sieht im Modeflm die Zukunf. So wie einst die analoge
Fotografe die Malerei ablöste und später die digitale Fotografe die
anloge Fotografe, so wird das Medium Film die statsche Welt der
Digitalfotografe ersetzen. Mit seiner unabhängigen, interaktven
Website Showstudio gibt Knight seit 10 Jahren Einblicke in die Mo-
dewelt und propagiert das Video als Zukunfsmedium der Branche.
Knight spricht von einer „historischen Umwälzung“ (htp://tnyurl.
com/6fabj5ql), die zeigt, dass Print nicht mehr das Medium ist, das
zu unserer Zeit passt.
(...) ein gutgemachter Modeflm entzaubert die Mode keineswegs:
Er lässt das gezeigte Kleidungsstück seine Geschichte selbst er-
zählen und vermutlich der wichtgste Aspekt: Ein Modeflm kann
ein Kleidungsstück in Bewegung zeigen und demonstriert damit
unmitelbar, wofür es entworfen wurde. Nicht als statsches Objekt,
sondern als eine Sache, die ihren Wert und ihre Bedeutung erst
dann entalten kann, wenn sie sich bewegt. Eben weil der Modeflm
der Vision eines Designers ungleich gerechter wird als ein Mode-
foto, bin ich auch überzeugt davon, dass dieses neue Medium bald
die Modefotografe ablösen wird. (...) Die Tatsache, dass selbst
Magazine, deren Aufage in der Krise stabil geblieben ist, enorme
Summen in ihre Websites investeren und dafür die Budgets für
Modestrecken zusammenstreichen, sagt eigentlich alles. Es bleibt
ihnen gar keine andere Wahl: Wenn man als Karl Lagerfeld oder
Prada oder Chanel heute junge Zielgruppen erreichen will und dafür
Printmagazine wählt, macht man alles falsch. Ich habe selbst drei
Kinder im Teenager-Alter, die in einer Umgebung aufwachsen, die
Magazine und Modefotografe liebt, und keines von ihnen würde
jemals ein Magazin lesen. Ihre Welt ist das Internet.
(htp://tnyurl.
com/6fabj5q)
Ob nun die Modefotografe tatsächlich ausgedient hat, und in naher
Zukunf vom Modeflm ablöst wird, steht in den Sternen. Es stellt
sich nur die Frage, wenn dies tatsächlich eintrit, was geschieht
danach? Was löst dann den Modeflm ab, eine Art Cyperspace, in
das wir uns mit Haut und Haar wie im Sience Ficton Film „Avatar“
hineinbeamen, um Mode hautnah schnuppern und erleben zu
können? Dies wäre gar nicht so abwegig, wenn man bedenkt, dass
der Zutrit zu live Fashion Shows für „Normalsterbliche“ geradezu
unmöglich ist. Zur Zeit boomen noch Veröfentlichungen in Hoch-
glanzmagazinen, welche nach wie vor auf die Ästhetk im Bild
abzielen. Atraktve, sexy Menschen posieren spritzig und frech vor
der Kamera und lassen so manches Frauen- und Männerherz höher
schlagen. Sie sind schön anzusehen, ein Eye-Catcher, der unterhal-
tet und zum Träumen animiert.
Die bekannte amerikanische Modejournalistn Hadley Freeman
bezeichnet Modemagazine als „die heitersten Publikatonen dieses
Planeten, man sollte sie gegen Depressionen verschreiben, weil sie
die reinsten Anschauungsbeispiele dafür sind, wie man selbst in
den abgefahrensten Situatonen noch das Gute in den Dingen sehen
kann. Es ist nicht allein das Geld der Werbekunden, das Magazine
unter der Knute hält: Gute Werbung lässt das Hef besser aussehen.
Eine schöne Anzeige von Lancôme mit Kate Winslet lässt das Hef
doch etwas schicker aussehen als eine für Lifa-Treppenlife oder
Porzellanandenken aus Rothenburg ob der Tauber“.
(Hadley, 2010: 331)
Letztendlich geht es in der Modefotografe darum wahrgenommen
zu werden. Ein Modefoto ist dann gut, wenn es Pepp und Esprit hat
oder durch Extravaganz bestcht. Hält man während des Durchblät-
terns eines Modemagazins beim Anblick einer bestmmten Mode-
aufnahme einen kurzen Moment inne - einige Sekunden reichen
schon - so hat die Modefotografe in Bezug auf das Modeprodukt
ihren Zweck erfüllt. Eine Modefotografe muss anprechend und an-
ziehend sein, ansonsten geht sie im Dschungel der Reizüberfutung
buchstäblich unter. Ihre Message muss beim Betrachter ankommen.
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